Den Wald vor lauter Bäumen sehen

  • Das Kröller-Müller Museum von März bis September 2024
  • In Reportagen

Kein Museum in den Niederlanden ist so eng mit der Natur verwoben wie das Kröller-Müller Museum. In der Ausstellung "Den Wald vor lauter Bäumen" beschäftigen sich vier Künstler/innen auf unterschiedliche Weise mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Als Begleitung zur Ausstellung hat das Kollektiv Circus Andersom zwei sensorische Rundgänge durch den Skulpturengarten kreiert.

Andy Holden: Vögel in der Hauptrolle
In "Natural Selection" befasst sich der Brite Andy Holden (Bedford, 1982) mit dem Verhalten von Vögeln, mit ihrer vorausschauenden Gabe, ihrer Kreativität und dem drohenden Artensterben. Außerdem thematisiert er den Umgang mit Schuldgefühlen sowie die Übernahme von Verantwortung. In seinem Werk "Pyramid Piece" versöhnt sich Holden mit seiner eigenen Schuld, die er empfindet, weil er einst einen Stein von einer ägyptischen Pyramide entwendet hat. In "A Social History of Egg Collecting" geht es um die Überwindung einer Sammelleidenschaft. Eine sprechende Krähe erzählt die Geschichte des „Eiersammelns“ in Großbritannien. Der Sammeltrieb von Eierkundler/innen kann in manchen Fällen dazu führen, dass ganzen Vogelarten verschwinden. In der Videoinstallation "A Natural History of Nest Building" spricht Andy Holden mit seinem Vater Peter Holden, einem bekannten Ornithologen aus Großbritannien, über die verschiedenen Arten von Vogelnestern, Nistplätzen und Baumaterialien. Während Peter Holden den Nestbau aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet, sieht der Künstler vor allem die Schönheit und Kreativität der Vogelnester. Für sein Werk "Silent Spring" wandelt Holden den Gesang der Vögel in elektronisch visualisierte Klangwellen (Oszillogramme) um. Im Skulpturengarten stehen drei Bronzeskulpturen, die genau diese Tonspuren abbilden. Der Titel "Auguries" verweist auf den römischen Brauch der Vogeldeutung, mit dessen Hilfe zu jener Zeit die Zukunft vorhergesagt wurde.
Eija-Liisa Ahtila: Architektur, Kunst und Natur
Im Werk der Finnin Eija-Liisa Ahtila (1959, Hämeenlinna) spielt die heilende Wirkung der Natur oft eine zentrale Rolle. Ihr Werk "APRIL" besteht aus acht Projektionen unterschiedlicher Kamerafahrten durch einen Wald in Finnland. Die Aufnahmen sind zwischen Ende März 2022 und Ende Mai 2023 an verschiedenen Orten entstanden. Die acht Projektionen beginnen zeitgleich, jedoch verändert sich bereits nach kurzer Zeit die Perspektive. Die Bewegung der Kamera wird an einigen Stellen temporär unterbrochen oder verlangsamt, sodass die Bilder nicht mehr synchron verlaufen. Hinter der Wand, auf der die Aufnahmen zu sehen sind, befindet sich der Skulpturengarten des Kröller-Müller Museums. Durch die Projektionen entsteht der Eindruck, als könne man die Natur hinter der Museumsmauer sehen.
Julian Charrière: Fotogravuren einer verschwindenden Landschaft
Der Franzose Julian Charrière (Morges, 1987) zeigt in seiner Serie Limen (Latein für „Schwelle“ oder „Übergang“) digitale Luftaufnahmen von der weiten Landschaft Nordgrönlands. Es sind keine Orientierungspunkte wie Häuser, Bäume oder Tiere zu sehen. Das Wetter ändert sich ständig, und die Grenze zwischen Himmel und Erde ist an einigen Stellen kaum wahrnehmbar. Die Landschaft befindet sich in einem ständigen Wandel. Für den Druck seiner Fotografien verwendet Charrière eine Drucktechnik aus dem 19. Jahrhundert. Bei der Heliogravüre werden die Aufnahmen mithilfe von geätzten Platten auf Papier gedruckt. Charrière erstellt die Farben für seine Fotogravuren aus Pigmenten, die er aus der nordgrönländischen Landschaft gewinnt. Er zermahlt kleine Steine, Moränenlehm, Grus, Ruß und Mikroben. Im Anschluss werden die Pigmente durch digitale Scans in Farbschemata übersetzt. Mit diesen „echten Farben der Landschaft“ erstellt Charrière eindrucksvolle Fotogravuren einer Landschaft, die immer schneller zu verschwinden scheint.

 

Hans Op de Beeck: Reflexion, Besinnung und Fantasie
"The Settlement (Indoor)" von Hans Op de Beeck (1969, Turnhout) erinnert an eine verlassene Filmkulisse, die jeden Augenblick zum Leben erwachen könnte. Inmitten von schwarzem, leicht plätscherndem Wasser liegt ein graues Miniaturdorf, dessen Häuser auf Stelzen stehen. Das Werk wird umgeben von einer hohen, schwarzen Wand. Besucher/innen können wie in einem Theater auf einer Tribüne Platz nehmen, um die Szenerie zu überblicken. Op de Beeck bietet einen Ort der Besinnung und schafft Raum für Fantasie: „Ich hoffe, dem Betrachter ein Gefühl der Ruhe vermitteln zu können, um ihn unterbewusst mit der Frage zu konfrontieren, wer wir sind, wie wir leben, wie wir mit Zeit und Raum umgehen“. Die Miniatursiedlung steht komplett still, nur die Wasseroberfläche bewegt sich leicht und reflektiert die Lichter der Häuser. Ähnlich wie die Brandung des Meeres oder die Flammen des Feuers sorgt auch das Kunstwerk "The Settlement (Indoor)" für klare Gedanken und Raum zum Nachdenken.
Circus Andersom: Rundgang Den Skulpturengarten vor lauter Bäumen
Das Kollektiv Circus Andersom hat für die Ausstellung einen kurzen sowie einen langen Rundgang durch den Skulpturengarten kreiert, bei dem alle Sinnesorgane angesprochen werden. Im Mittelpunkt steht die Verbindung zwischen Mensch, Kunst und Natur. Besucher/innen können sich mit einem Baum unterhalten, einer Waldoper beiwohnen, sich bewegen und neue Kraft schöpfen. Während des Rundgangs werden die Besucher/innen mit Fragen konfrontiert, die ihre Gedanken unterbrechen und an ihre Vorstellungskraft appellieren. Es werden neue Perspektiven eröffnet, die uns zeigen, wie wir mit der Natur und der Kunst umgehen.
Englischsprachige Performance Andy und Peter Holden
Am 26. Mai um 15.00 Uhr werden Andy und Peter Holden zum ersten Mal außerhalb Großbritanniens die Performance "Lecture on Bird Song" im Kröller-Müller Museum aufführen. Mithilfe von Tonaufnahmen, Fotos, Videos und Musikinstrumenten zeigen sie, wie sich die Menschen im Laufe der Geschichte vom Gesang der Vögel inspirieren ließen. Eintrittskarten sind auf der Website des Museums erhältlich:

https://tickets.krollermuller.nl/en/performanceholden/tickets

www.holland.com/de